Nach dem Abpfiff brachen alle Dämme. Steve Kählke feierte im "Sandwich" mit Coach Carsten Thomas und Betreuer Thomas Schulz© Die Harke; KeßlerNienburg. Superlative reichen für dieses Spiel nicht aus. In einem gigantischen Spitzenduell der Handball-Oberliga triumphierte am Sonnabend die HSG Nienburg mit 32:30 (18:16) über den Favoriten TuS Vinnhorst. Die ausverkaufte Meerbachhalle bebte, wie sie es schon lange nicht mehr erlebt hatte und ließ ihre rot-schwarzen Helden für eine herausragende Leistung hochleben.
Im Tabellenbild rangieren beide Mannschaften eng beieinander. Zieht man jedoch die Rahmenbedingungen beider Vereine zum Vergleich heran, klaffen zwischen ihnen Welten.
Während die HSG Nienburg auf jeden Sponsor stolz und angewiesen ist, werden in Vinnhorst Millionenbeträge bewegt. Der Personaldienstleister ZAG, der breit auf dem Trikot des TuS prangt, war 2016 bei den Handballern eingestiegen und übernimmt seitdem Trainer- und Spielerhonorare, ebenso Fahrtkosten oder Trainingslager. Zudem spendet ZAG dem TuS eine neue Tribünenhalle mit angegliedertem Turnerzentrum – für schlanke 15 Millionen Euro. Ein Glaspalast mit großzügigem Foyer und Platz für gut 700 Zuschauer soll entstehen. Der Masterplan sieht vor, binnen acht Jahren den TuS weit nach vorn zu bringen.
Somit waren die Rollen am Sonnabend bereits vor der Partie deutlich verteilt. Die Vinnhorster reisten mit ihrem hochdekorierten Kader an die Weser. Steffen Kaatze & Co standen Spielern gegenüber, die größtenteils schon in den oberen drei deutschen Handball-Ligen gewirkt haben. Aber die Nienburger waren heiß wie das Frittenfett in der Pommesbude, in der Meerbachhalle knisterte die Stimmung schon 30 Minuten vor dem Anpfiff.
Der Anpfiff der Unparteiischen war, als hätten sie soeben eine Feuerwerksbatterie entzündet – der Startschuss einer Begegnung, über die mit Sicherheit noch lange gesprochen wird. Beide Mannschaften starteten euphorisiert. Die Gäste hatten zunächst die ruhigeren Hände und gingen schnell mit 2:0 in Front. Aber auch die HSG meldete sich nun zu Wort und drehte das Ergebnis auf 3:2. Es ging hart zur Sache.
Fehlten den Würfen von von Malte Grabisch und seinen Kameraden nur etwas die Präzision, war der über zwei Meter große TuS-Keeper Colin Räbiger sofort zur Stelle. Doch auch Nienburgs Schlussmann Christopher „Birne“ Fraj hatte einen Sahnetag erwischt und angelte mit bemerkenswerten Reflexen die Bälle aus dem Giebel. Er sagte nach Abpfiff: „Ich habe gebrannt, das Team hat gebrannt, jeder von uns hat gebrannt und wollte zeigen, dass auch der beste Einzelspieler nicht gegen eine Mannschaft, wie wir es sind, etwas reißen kann.“
Nach rund 17 Minuten stieg Malte Grabisch in gewohnter Manier im Angriff hoch, warf, rutschte anschließend jedoch mit ordentlich Wums gegen die Hallenwand – der „Traktor“ verletzte sich, stotterte. Physiotherapeutin Katrin Fiebiger nahm sich seiner an, sodass der Torgarant wenig später wieder auf die Platte zurückkehren konnte. Die HSG atmete durch, ackerte weiter und entglitt den Vinnhorstern zwischenzeitlich auf vier Tore Abstand (18:14), doch noch vor der Pause verkürzte der Favorit wieder auf zwei Treffer.
Nach dem Wechsel ging es genauso spannend weiter. Immer wieder glichen die Gäste aus, stets fand Rot-Schwarz die passende Antwort und zog wieder davon. Doch in der 55. Minute drohte sich das Blatt zu wenden. Phil Hornke erzielte mit einem seiner sieben Tore die 28:27-Führung für den Favoriten. War die Thomas-Sieben kurz vorm Schluss am Ende ihrer Kräfte? Lars Bergmann, Steffen Kaatze und Marin Wrede beantworteten diese Frage mit einem klaren Nein! Mit ihren Toren leiteten sie die letzte Wende des Tages ein und rangen Vinnhorst endgültig nieder.
Der Jubel kannte nach der Schlusssirene keine Grenzen. Derart laut erklang der obligatorische HSG-Siegertanz schon lange nicht mehr. Trainer Thomas war überwältigt: „Wir wussten, dass heute alles passen muss, damit hier etwas geht. Aber jeder im Team hat heute eine fantastische Leistung gezeigt. Wir haben so lange auf dieses Spiel hingearbeitet und hingefiebert. Das Adrenalin hätte man bei den Jungs literweise abzapfen können. Es war der krönende Abschluss einer grandiosen Hinrunde.“
HSG Nienburg: Fraj – Grabisch 8, Ence 4, Bergmann 6, Kaatze 1, Kählke 5/2, Fennekoldt 1, Büscher, Wrede 7.
Strafwürfe: 2/2 – 1/1.
Zeitstrafen: 3 (Malte Grabisch, Steve Kählke 2) – 3.
Zuschauer: 350
Spielfilm: 0:2, 3:2, 6:6, 9:11, 13:12, 18:14, 18:16 (30.), 21:21, 25:23, 27:28, 32:30 (60.).
Die Harke vom 17.12.2018; Philipp Keßler